Defusion

Etwas entschärfen, to defuse im Englischen, weist auf eine Gefahr hin. Es geht nicht darum, eine Chili lastige Suppe zu entschärfen, sondern eine Bombe oder ähnliches. Und tatsächlich, unseren Gedanken scheint eine Gefährlichkeit innezuwohnen, die wir bemerken, wenn wir Gedanken beobachten, wie zum Beispiel solche, dass das Leben langweilig sei, die Welt schlecht und ungerecht, es alles immer schlimmer werde und nichts helfen könne.

Wie entschärft man bedrohliche Gedanken? Die Welt ist schlecht und ungerecht klingt schon anders, wenn alle Vokale durch ein o ersetzt werden: Doo Wolt ost schlocht ond ongorocht. Was wird genau in dem Moment klar? Ach, das sind ja nur Worte. Ich muss diese alte Phrase nicht als Wahrheit deklarieren. Ich muss sie meinem Verstand nicht abkaufen…

Ich muss nicht, aber ich möchte vielleicht…

Wenn wir mit unseren Gedanken identifiziert sind, fällt es manchmal nicht leicht, sie einer Entschärfungsprozedur zu unterziehen. Es ist hin und wieder so, als hätten wir Gedanken wie Niemand nimmt mich ernst geheiratet oder adoptiert. Seit der Pubertät ist man mit diesem Gedanken verheiratet, und er bewahrheitet sich vermutlich in vielen kleinen sozialen Situationen. „Schon wieder bin ich übergangen worden. Niemand nimmt mich ernst.“ Da kann sich ein Nüümünd nümmt müch ürnst wie der Raub einer Kostbarkeit anfühlen und Angst erzeugen oder Ärger. Außerdem läge die Idee nicht fern, zu befürchten, dass man sich bald selbst nicht mehr ernst nimmt, wenn man alle Gedanken den Drei Chinesen mit dem Kontrabass opfert. Allerdings handelt es sich bei dieser Befürchtung ebenfalls wieder um einen Gedanken. Eine rettende Frage könnte lauten: Ist dieser Gedanke für irgendetwas nützlich? Ist es hilfreich, meinem Verstand zu glauben, dass niemand mich ernst nimmt? Hier geht es nicht um wahr oder unwahr, sondern um hilfreich oder nicht.

Die Autor*innen der vielen Bücher über Akzeptanz und Commitment Therapie haben sich zumeist neben den etablierten Defusions-Übungen weitere ausgedacht. Eine Auswahl aus der Fundgrube:

Die Hitliste von Matthias Wengenroth: „Diese Woche auf Platz 1 Ich schaffe das alles nicht. Abgeschlagen auf Platz 6 Niemand nimmt mich ernst. Aufgestiegen auf Platz 2 Es wird alles immer schlimmer.“

Das Dankesgebet von K.D. Strohsahl & P.J. Robinson: Danke, Verstand, dass du mir den Gedanken mit dem Namen Ich schaffe das alles nicht gegeben hast.

Die Technik der albernen Stimme von Russ Harris: Sagen Sie sich den Gedanken mit der Stimme von Micky Maus, Gollum oder auch Yoda. Versuchen Sie es mal mit: Ich mache alles falsch.

Kurz und knackig die Idee einer ACT-Gruppe: „Danke, Gedanke!“

Ideen von Menschen, die sich ausdauernd mit Sprache beschäftigen, wie z.B. Walter Moers, der seine Prinzessin Insomnia aus Depressionen Pissdremonen machen lässt.

Das geniale, aufwendige Verfahren von Ursus Wehrli, der in „Kunst aufräumen“ jedem Bild die Bedeutung nimmt, ist ebenfalls brauchbar, um unsere notorische Verschmelzung mit den verbalen Gedanken ein bisschen aufzulösen. Sätze aufräumen, beispielsweise nach Wortlänge und Alphabet: das – Ich – alles – nicht – schaffe oder nach Buchstabenanzahl: 3xa, 3xc, 1xd, 2xe, 2xf usw. Viel Spaß an Ihren eigenen Einfällen!